09. Mai 2017

Alte Ethik - Neue Ethik

Ethik ist keine Wissenschaft. Sie ist eine philosophische Disziplin. Als solche kennt sie keine Axiome und Lehrsätze. Die Ethik entwickelt sich stets weiter, so wie sich auch das menschliche Handeln weiterentwickelt. Die Ethik stellt Kriterien auf die den jeweiligen Entwicklungsstand der menschlichen Gesellschaft wiedergeben. Es ist somit durchaus berechtigt von einer alten oder einer neuen (aktuellen) Ethik zu sprechen.

Alte Ethik

Noch vor fünfzig Jahren standen die tradierten Tugenden wie Höflichkeit, gutes Benehmen, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Sauberkeit, Sparsamkeit hoch im Kurs. Sie waren die Leitplanken zwischen denen man sich bewegen konnte. In der Erziehung wurde darauf hingearbeitet, sich an diese Werte zu halten. Als gut erzogen so zu leben, wie alle es voneinander erwarteten. Diese Gesellschaft wurde von den Autoritäten des Staates, der Kirche und der Familie zusammengehalten.

Neue Ethik

Vieles hat sich verändert. Die Weltbevölkerung hat sich seither beinahe verdoppelt. Die meisten der heute Lebenden haben in den wirtschaftlichen Staaten keinen Krieg erlebt. Friede und Wohlstand sind eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Menschheit ist besser ausgebildet. Der Einzelne ist heute in der Lage das Umfeld kritisch zu hinterfragen. Das Kollektiv gerät in den Hintergrund. Das Individuum betritt die Bühne. Es tritt selbstsicher auf und will angehört werden. Es will selbstständig sein und von seinem eigen freien Willen profitieren. Es will sich von der Bevormundung lösen und alle wichtigen Entscheidungen in seinem Leben frei entscheiden können. Neue Werte treten in den Vordergrund. Kreativität, Neugierde und Beweglichkeit sind gefragt. Ebenso Flexibilität, Anpassungsgeschick und Umstellungsgeschick. Das heisst nicht, dass alle alte Werte verloren gegangen sind. Pflichtgefühl, Ordnungsliebe, Fleiss und Ehrgeiz gehören heute genauso dazu wie in der Alten Ethik. Nur die moderne Gesellschaft erfordert Selbstentfaltung. Und der neue Mensch bedient sich seiner.

Echtes Recht auf Selbstbestimmung

Der Bürger in der westlichen Welt von heute ist sich gewohnt, seine Art zu leben, selbst zu bestimmen. Alle wichtigen Entscheidungen trifft er, spätestens wenn volljährig ist, selbst. Welchen Beruf werde ich ausüben? Wo soll ich wohnen? Will ich eine Familie gründen? Soll ich ein Eigenheim bauen? Entscheidung reiht sich an Entscheidung. Nur eine finale Entscheidung ist ihm in der Schweiz verwehrt. Zu bestimmen wann und wie er sein Leben beenden will. Hier legt der Staat ein Veto ein. Dabei stützt er sich auf die Arbeit der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. Sie wurde 2001 vom Bundesrat eingesetzt und soll als unabhängige Expertenkommission die Behörden beraten. Sie setzt sich aus 15 Personen zusammen, neun Damen und sechs Herren. Nur Menschen mit einer prominenten, akademischen Laufbahn. Mindestens Privatdozenten, meistens Professoren, gar Ordinarien. Sie ist das ethische Gewissen der Nation und befindet über das was gut ist und was schlecht ist. Ich kann nicht umhin mir die Frage zu stellen ob diese, der Theorie verbundenen Persönlichkeiten, noch genug Bodenkontakt haben, um zu wissen wie der Mensch in seinem Alltag schaltet und waltet. Wenn es um das Thema «begleitete Selbsttötung» geht, entsteht der Eindruck die Kommission stehe der Alten Ethik näher als den eigentlichen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft.
Die Standesorganisation «Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) bläst ins gleiche Horn. Beide Körperschaften geniessen hohe Achtung, strahlen grosse Macht aus und sind sehr prestigeträchtig. Trotzdem laufen sie, wenn es um unser Thema geht, neben den Schuhen.

ERAS wird unser Thema sehr eng begleiten und sich weiterhin für das Grundrecht selbst über sein Lebensende zu entscheiden, einsetzen.

Hans von Werra