11. März 2024

Fall Aebischer, Urteil Verwaltungsgericht Bern, Dispensgesuch abgewiesen, 30 T Frist für Beschwerde an Bundesgericht

Tag -388- nach Stellung Dispensgesuch. Nach über einem Jahr bangen und warten (sowie einer Rechtsverweigerungsbeschwerde ans Bundesgericht) hat heute das Verwaltungsgericht des Kantons Bern Ebo Aebischers Beschwerde abgewiesen. Ebo Aebischer wird dagegen beim Bundesgericht schnellstmöglich Berufung einlegen.
Der Entscheid ist für uns dennoch ein wichtiges, positives Zwischenergebnis. Nicht nur hat das Gericht erstmals auf die Erhebung von Kosten verzichtet, was ein öffentliches Interesse an der Rechtsfrage indiziert. Es hat insbesondere auf S. 9 des Urteils die Frage der rechtlichen Legitimität der SAMW, für irgendwen verbindliche Richtlinien zu erlassen, jetzt endlich mit aller nur wünschenswerten Klarheit beantwortet, Zitat S. 9:

«Vorab lässt sich zum Verhältnis zwischen den Berufspflichten nach Art.40 MedBG und den SAMW-Richtlinien Folgendes festhalten: Es ist evident, dass diese Richtlinien keine Gesetzeskraft haben. Das MedBG enthält keine Ermächtigung zu ergänzender Rechtsetzung im Bereich der ärztlichen Berufspflichten durch Private. Könnten Normen in diesem Kontext überhaupt als so unwichtig bezeichnet werden, dass Regelwerke wie die SAMW-Richtlinien allenfalls als objektives Recht gelten könnten (vgl. Art. 164 Abs. 1 und 2 BV), müssten sie sich auf eine formellgesetzliche Delegation stützen (BGer 2C_39/2018 vom 18.6.2019 E 4.4 betreffend die FMH; weiter dazu BGE 136 I 316 E. 2.4.1; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 10. Aufl. 2020, N. 1890). Die Delegation müsste hinreichend klar und bestimmt sein. Rechtsetzungsbefugnisse werden somit namentlich nicht durch die im MedBG enthaltenen Hinweise auf die ethische Dimension ärztlichen Verhaltens vermittelt (vgl. Art. 7 Bst. b und Art. 8 Bst. i MedBG). Auch hieraus folgt, dass die Berufspflichten nach Art. 40 MedBG «einheitlich und abschliessend» sind (Botschaft des Bundesrats zum MedBG, in BBI 2005 S. 173ff ., 228 [nachfolgend: Botschaft MedBG]; ebenso Walter Fellmann, in Ayer et al [Hrsg], Medizinalberufegesetz [MedBG] - Loi sur les professions médicales [LPMéd] Kommentar/Commentaire, 2009, Art.40 N. 10, 28; Sprumont/Guinchard/Schorno [im soeben genannten Kommentar enthaltene französische Kommentierung], Art. 40 N. 26). Sie können folglich nicht durch SAMW-Richtlinien ergänzt oder gar zu objektivem Recht erhoben werden (vgl. Tanja lvanovic, Die Sorgfalt der Medizinalpersonen nach Art.40 lit. a MedBG: Generalklausel und Konkretisierung, in ZBJV 2021 S. 126 ff., 133; vgl. dazu auch hinten E. 4.5.4). Das Bundesgericht hielt mit Urteil 6B_646/2020 vom 9. Dezember 2021 (Pra 112/2023 Nr. 5) im Kontext der Strafbestimmung von Art. 86 Abs. 1 Bst. a des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) im Übrigen fest, dass die SAMW-Richtlinien als Regelwerk einer privaten Standesorganisation «nicht verbindlich» seien («règles non contraignantes» [E. 1.6]).

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